Markus gestaltet einen n ü c h t e r n e n Erzählstil – und das, w a s er erzählt, ist e r n ü c h t e r n d. Die Machenschaften der Gegner Jesu bis hin zu seiner Inhaftierung, Folterung und Hinrichtung hätten sich ordentlich ausschlachten lassen zur „Feindbilder-Produktion“ (wie in der Geschichte der christlichen Kirchen dann leider ja oft geschehen).
Der Evangelist jedoch erzählt nicht dramatisierend, sondern beschreibend: ein um sachliche Darstellung bemühter Chronist.
Markus erzählt, was i s t – auch bei den Interna der Jünger-Gruppe
Noch erstaunlicher ist, dass er diese Eigenart – „erzählen, was i s t“ – ganz konsequent auch bei den Interna der Jünger- und Jüngerinnen-Gruppen beibehält, fast noch verschärft: z. B.
- das hartnäckige Unverständnis der Jünger gegenüber Jesus
- die Ablehnung Jesu durch die eigene Familie / Sippe / Heimatort
- Jesus durchleidet Todesängste – und die 3 auserwählten Jünger schlafen ein, 3 x ( 14, 32 – 42 )
- die Flucht der Jünger bei der Verhaftung Jesu ( 14, 50 )
- Flucht eines jungen Mannes/neanískos vor dem Verhaftetwerden: „floh nackt“ ( 14, 51 – 52 )
- die Verleugnung ausgerechnet durch Petrus ( 14, 54. 66 – 72 )
- Durchhalten der Frauen bei der Kreuzigung Jesu – und dann ihre Flucht nach dem Auftrag, Heroldinnen des auferstandenen Jesus zu sein ( 15, 40 – 47; 16, 1 – 8 )
Markus „erfindet“ das alles nicht, um seine „Story“ vielleicht „spannender“ zu machen (für „Werbung“ ist so etwas ja wirklich nicht geeignet). Er erzählt Geschehen, das alle kennen bzw. überprüfen können (und die Gegner sicher gleich wieder ‚verwenden’ werden).
Schwäche, Versagen, Ohnmacht, Erfolglosigkeit, Scheitern … werden beschreibend e r z ä h l t, nicht verleugnet, verschwiegen, vertuscht, verheimlicht, weg-/um- interpretiert, schöngefärbt …
LECHLER, Walther H. / MEIER, Alfred: „Nüchterne Trunkenheit“. Sobria ebrietas. (LECHLER, Walther H. / MEIER, Alfred: Wach auf und lebe!. Die therapeutische Kraft biblischer Geschichten. – München: Kösel Verlag 2005, S. 16 – 25
Die Dunkelseiten des Lebens können mit-leben
Die Dunkelseiten des Lebens, die Abstürze, die Brüche werden als L e b e n s – Elemente angenommen und mit hereingenommen. Integriert in die Lebens- und Kommunikations-Geschichte(n). Sie führen nicht mehr zu Exkommunikationen („außen“) und/oder Abspaltungen („innen“). Dauer-Betäubungen aller Arten saugen nicht mehr kostbare Lebens-Energien ab. Denn auch die Leidensgeschichten dürfen anerkannte Teile der Lebens- und Gruppen- Geschichte(n) sein. vgl.
- 5, 33 „und sagte ihm die ganze Wahrheit“ – die geheilte ‚blutflüssige’ F r a u
- 8, 25 „und durchblickte er / und wiederhergestellt wurde er / und anblickte er leuchtenden Auges/genau alles insgesamt“ – der geheilte blinde M a n n
Diese couragierte, prophetische Offenheit erinnert auch an die so genannte „Thronfolgegeschichte Davids“ im Ersten / Alten Testament (in 1 und 2 Samuel). Dort werden auch die Schwächen und Versagen des König Davids erzählt. Alles andere als „Hofberichterstattung“ …
Markus praktiziert Zivilcourage – von Jesus bestärkt: 8, 32a „und in Offenheit/mit Freimut – parrhesía das Wort redete er [= Jesus] “.
Schritt-weise Heilung – Wort für Wort, Satz für Satz, Geschichte für Geschichte.
Netzwerk-Art der Alltags-Kommunikation
Jesus ist ständig unterwegs. Man könnte an ein „Weberschiffchen“ denken, das die verschiedenen Einzel-Fäden zu immer neuen Mustern verbindet.
Kreative Gestaltungsformen wie Netze knüpfen, Weben, Patchworken, … sind hilfreich und wesentlich für das Verstehen und Verarbeiten von Alltags-Erfahrungen, besonders nach LebensBeben. „Nichts ist mehr so, wie es war“ – im Positiven wie im Negativen. Auch die „Fassungen“, die Verstehens-Strukturen und Bewusstseins-Vorzeichen brauchen dann neue Gestaltungen.
Markus verwendet diese Netzwerk-Art der Alltags-Kommunikation in literarisch-spiritueller Meisterschaft. Sein Evangelium liest sich „einfach“ – wie z. B. ja auch Mozart „einfach“ klingt.
Und so verlockt er mit seinem ganzen Können, seinem Durch-Blick, seiner spirituellen und literarischen Meisterschaft die Leserin, den Leser, den Erzählfaden aufzunehmen. Und ihn „einfach“ zu verknüpfen, weiterzuweben ins eigene Leben, mit dem eigenen Leben.
Zuversichtlich, immer wieder von neuem – trotz allem.
Enttäuschungen sollte man verbrennen,
nicht einbalsamieren.
Mark Twain