Markus wählt aus der Fülle an Erfahrungen Jesu und mit Jesus aus und komponiert für sie und mit ihnen sein geschriebenes Evangelium. Er erzählt „exemplarisch“.
Er zeigt an konkreten Menschen aus dem óchlos – der Volksmenge/Pöbel (!) das (allgemein-) menschlich Gültige und bleibend Göttliche:
- einem Bauhandwerker aus Nazareth
- Fischern vom See Genezareth
- Frauen
- (Klein)Kindern
- Kranken
- Sündern
- Dämonisierten
- …
Markus knüpft ‚unsichtbare Fäden‘ zwischen Worten und Lesenden
Die sorgfältige, überlegte Wort-Wahl quer durch das ganze Evangelium ist eine EigenArt des literarischen Künstlers Markus. Er knüpft ‚unsichtbare Fäden’ zwischen den Worten, mit denen er den Lesenden von Jesus erzählt. ‚Fäden’, die wie imprägniert sind von seinen Erfahrungen mit Jesus, von seiner persönlichen Auferstehungserfahrung, vom Austausch mit den anderen WEG-Gefährt-inn-en Jesu.
Mit dieser „indirekten“ Art gestaltet er vieldimensionale Zusammenhänge und ermöglicht vielschichtige Be-Deutungen. Sie öffnen sich, wenn man die Worte wie bei einem „Touchscreen“ antippt.
Wie bei einem Instrument: wenn ich einen Ton anschlage oder zupfe, schwingen andere Töne und das ganze Instrument mit: ein voller Ton.
Oder bei einem Gedicht: die „wenigen“ Worte sind Essenz eines intensiven sprachlichen Verdichtungs-/Konzentrations-Prozesses.
Gute Gedichte brauchen keine Weisheit zu enthalten:
Sie sind deren Ergebnis.
Michael Ende
Michael ENDEs Zettelkasten: Gute Gedichte (Skizzen und Notizen. – Stuttgart, Wien: Weitbrecht 1994, S. 50)
Er ‚färbt‘ seine Sprache ‚ein‘
Bei stark berührenden Erlebnissen stecken uns oft Tränen „im Hals“, in der Nase. Die Stimme wirkt „gedämpft“, sie verändert ihren Klang – und steckt an: die Rührung ergreift auch die Zuhörenden.
Wenn die berühmte Sängerin Maria Callas die virtuose ‚Wahnsinns-Arie’ aus der Oper „Lucia di Lammermoor“ von Gaetano Donizetti sang, machte sie das Weinen der verzweifelten Lucia hörbar. Nicht durch zusätzlich eingebaute Schluchzer, sondern durch die „Einfärbung“ ihrer Stimme! Man hört diese tiefe Tonfolge wie mit einem Tränenschleier durchwirkt. Höchste stimmtechnische Perfektion und emotionales Risiko der Sängerin. Atemberaubend und berührend.
Mit seiner präzisen Art der Wort-Wahl und der Wort-Verwendung „färbt“ Markus die Sprache ein. Das Berichtete, Erzählte klingt für die Lesenden damit „prophetisch“, „weisheitlich“, … Und je mehr sie sich für Zusammenhänge interessieren, umso spannender wird das Wieder-Lesen, die relecture.
vgl.
JM 1.1.6 Literarische Gattungen
Literarisch gestaltete Hochspannung
Durch konzentrierte Wort-Wahl und präzisen Wort-Gebrauch – weniger durch ausführliches Erzählen – gestaltet Markus die Hochspannung, die von Jesus ausgeht. Und wie die Menschen sie aufnehmen. So macht er sie – literarisch transformiert – den Lesenden zugänglich:
direkt: mit bestimmten Worten: z. B.
- [05-036] ekplésso – fassungslos sein
- [08-03] thambéo – erschauern
- [18-044] splagchnízomai – erbarmen
- [21-14] phobéo – (ehr)fürchten
- [16-064] perissôs – über die Maßen
- [20-14] hyperperissôs – über alle Maßen hinaus
- mit dramatischen doppelten und dreifachen Verneinungen, z.B. [15-45] ou mé – nimmermehr: 9 x von Jesus gesagt, 1 x von Petrus
mehr indirekt durch:
- Wort- und Laut-Kombinationen
- unterschiedliche Zahlen-Rhythmen, bes. den durchgängigen 3-er – Rhythmus
- verschiedene rhetorische Figuren, z. B. Alliterationen (Konsonanten-Häufungen)
- Achten auf die Klangwirkung wie in 13, 17: