Die Bemerkung von Papias, Bischof von Hierapolis (um 110/130 n. Chr.), ist die älteste uns vorliegende Aussage über den Evangelisten Markus außerhalb des NT. Sie ist überliefert durch Clemens von Alexandrien, 2./3. Jhd;  Eusebius von Caesarea, 3./4. Jhd.  und andere. Und wirkt bis heute meinungsbildend.  Papias beruft sich auf einen  „Presbyter Johannes“  als seinen Gewährsmann, dessen Ansichten er offensichtlich teilt.

 

Papias,  um  110/130  nChr  Bischof von  Hierapolis, schreibt:   (zit. in: Eusebius, Hist. eccl. III 39, 15)

„Auch  dieses  sagte  der  Presbyter  [Johannes]:
Markus,  welcher  der  Dolmetscher  [=  hermeneutés]  des  Petrus  war,
schrieb  alles,  dessen  er  sich  erinnerte,  genau  auf,
jedoch  nicht  der  Reihenfolge  nach, und  zwar  sowohl  Worte  wie  Taten  des  Herrn.
Er  hatte  nämlich  weder  den  Herrn  gehört,  noch  war  er  ihm  nachgefolgt,
vielmehr  später,  wie  ich  schon  sagte,  dem  Petrus,
der  den  Bedürfnissen  [der  Hörer]  entsprechend  seine  Lehrvorträge  gestaltete,
aber  nicht  wie  einer,  der  eine  Zusammenstellung  der  Aussprüche  des  Herrn  darbietet.
Darum  hat  Markus  keineswegs  gefehlt,
indem  er  einiges  so  schrieb,  wie  er  sich  daran  erinnerte.
Denn  nur  für  eines  trug  er  Sorge:
nichts  von  dem,  was  er  gehört  hatte,  auszulassen  oder  dabei  etwas  zu  verfälschen.“

(zit. nach:  W. Grundmann, Evangelium nach Markus,  S. 22)

 

Papias von Hierapolis, Markus, welcher der Dolmetscher des Petrus war   (zit. nach:  Walter Grundmann, Evangelium nach Markus.  –  Berlin:  Evangelische Verlagsanstalt  8. Aufl. 1980,  S. 22)

 

 

Mit den vorliegenden Ergebnissen einer eingehenden, wort- und strukturierungsgenauen Lektüre des  Markus-Textes  lässt sich zu diesen Aussagen des Papias feststellen:

  • entweder hat er das Evangelium nicht genau gelesen
  • oder er hat es nur  „an der Oberfläche“  verstanden
  • oder es interessierte ihn etwas anderes mehr, nämlich die  Autoritäts-Frage:  die Autorität des Petrus, die das Markus-Evangelium legitimieren soll.

 

 

 

„Äußere“ Autoritäten entscheiden über Wert und Wichtigkeit

 

Jedoch: Petrus war sicher ein guter Fischer und Geschäftsmann, ein überzeugender  Jesus-Verkünder. Doch mit der aristotelischen Erzähltheorie wäre er höchstwahrscheinlich  „überfordert“, die  Markus  in der Erzählung von der Salbung  Jesu  durch eine ungenannte Frau  ( 14, 1 – 11 ) anwendet.  (siehe   Stefan Lücking, Mimesis der Verachteten).  Und von allen anderen literarischen Feinheiten ebenfalls.

Das Papias-Zitat verweist auf einen sich vollziehenden Wandel: die  „innere Autorität“  des Evangeliums mit seiner Akzeptanz bei  ‚den Leuten’  und den anderen Evanglisten  genügte offenbar nicht mehr. Es braucht die Legitimierung durch „äußere Autoritäten“.  Vollzogen von einer  „äußeren“  Autorität, einem Bischof, und dann auch von den gelehrten Theologen/Experten.

Die sogen. ‚Kirchenväter’  gehörten zur intellektuellen Elite ihrer Zeit. Oft wurden Professoren auch Bischöfe, wie Eusebius in Caesarea (3./4. Jhd.),  Athanasius in Alexandria (4. Jhd.),  Augustinus in Hippo/N-Afrika (5. Jhd.). Intellektuelle, geistliche, administrativ-institutionelle Macht in  einer  Hand:  hochkonzentrierte  „äußere“ Autorität.

 

 

 

Statt „Evangelist Jesu Christi“  –  „Diener, Übersetzer“ des Petrus

 

Jochanan  Marcus,  der Evangelist  Jesu Christi  und  der ‚Leute’, der Lesenden?  Aus einem   ap’  archês  autóptes  kaì  hyperétes  toû  lógou – von Anfang an Augenzeuge und Diener des Wortes (Jesu, des Evangeliums)  bei  Lukas  ( 1, 2 )  wurde bei Papias  der  ‚Diener’  des Petrus.  Sein   hermeneutés  –  Übersetzer, der dessen Predigten irgendwie aufschrieb.

Die Berufs-Interpreten  –  theologische Experten und kirchliche Amts-Autoritäten  –  sind Papias gefolgt, nicht dem Evangelisten Lukas. Bis heute.