Wie  Markus  den  „Opfer-Schutz“  des Passivs einsetzt, zeigen die folgenden ganz unterschiedlichen Beispiele.

 

 

Der schwere Krampfanfall des Knaben

 

Jesus kommt mit den  3  Schülern vom Berg der Verwandlung zurück zu den anderen – mitten hinein in den Streit der Schüler mit Schriftexperten. Die Schüler hatten es nicht vermocht, einen unreinen Geist aus einem Buben hinauszuwerfen.

Jesus gerät in Rage über ihr Nicht-Vertrauen, und lässt den Buben zu sich bringen.

 

[10-110kylío – wälzen.    ekylíetoPassiv  –  der Anfall kommt über ihn wie ein feindlicher Angreifer;   Imperfekt  –  schon in der Vergangenheit, jetzt wieder,  wiederholt hin und her geworfen.

 

Wenn man dieses Passiv  „wie üblich“  ins Deutsche übersetzt, heißt es  „wälzte er sich“  –  aktiv  mit  Reflexivpronomen.  Grammatikalisch zwar möglich, macht  d i e s e  Übersetzung den lebensbedrohlichen Anfall mit tiefer Ohnmacht aber zu einer Sache des Knaben:  er wälzt sich.  Suggeriert aktives Handeln.

Eine fürchterliche Verdrehung dessen, wie ein Anfall abläuft:  dass er wie ein plötzlicher Überfall ausbricht, der Betroffene kaum eine Chance hat, sich irgendwie dagegen zu wehren …

In sehr vielen, ganz unterschiedlichen Übersetzungen steht:  „er wälzte sich“.

Trotz der präzisen Formulierung des  Markus.

Das Opfer wird zum Täter gemacht.

 

siehe

JL  3.2.2  Vertrauen  +  Verzweiflung

JL  4.3.3  Markus gestaltet präzise

 

 

 

„Passiv“  auch als solches übersetzen

 

Für  „dämonisiert, besessen sein“  wählt  Markus   [04-01daimonízomai (pass.) .

Obwohl es ein Wort mit aktiver Grundform gibt  –   daimonáo – rasend, verrückt, besessen sein  –  verwendet er  ausschließlich  das Wort mit der  passivischen  Grundform, das eine aktive Bedeutung hat.  Ein deutlicher Hinweis, dass  der Mensch dämonisiert  w i r d –  und  dann  dämonisiert  i s t.  Opfer, nicht Täter.

siehe

JL  4.3.2  Vielgestaltige destruktive Energien

 

 

 

Die Herzenshärte der Schüler/ 12

 

„Habt ihr verhärtet euer  Herz ?“  ( 8, 17 )  =  Aktiv Perfekt.  So wird die Frage  Jesu  an seine Schüler/die  12  bei der  stürmischen Überfahrt im Schiff  sehr oft übersetzt.

8, 17  peporoménen (pass. perf. part.)  échete  tèn  kardían  autôn;  //  (Als) verhärtet gewordenes  habt ihr  das  Herz  euer?

[16-180poróo – hart machen, verhärten

 

Aktiv“  suggeriert und verstärkt die Identifikation von Person und Sache.

Passiv“  öffnet sie durch die Unterscheidung von Person und Sache. Es gibt einen Deutungsspielraum, weil  Ursachen/ Verursacher  außerhalb  der Person gesehen und entscheidend berücksichtigt werden (so kann z. B. das  passivum divinum  als Deutungsmöglichkeit ins Spiel kommen).

 

Bei dieser Frage  Jesu  in  8, 17  gibt die  aktive  Formulierung den Beigeschmack:  „Ihr seid völlig blockiert, total zu, warum macht ihr das?“

Das  Passiv  legt  nahe:  „Ihr seid so derartig blockiert, richtig zu – was ist denn nur los mit euch?“

 

 

 

Die Furcht des Jairos

 

Jairos hat soeben die Nachricht vom Tod seiner Tochter gehört, Jesus hat mitgehört und sagt ihm:

[16-081pisteúo – (ver)trauen;  glauben

[21-14phobéo – scheuchen, erschrecken;  pass.: erschreckt werden, sich (ehr)fürchten, fliehen

Markus  verwendet das Passiv, die Leidensform: die Ursache liegt außerhalb und wirkt auf Jairos ein, widerfährt ihm, macht ihn ohnmächtig. Deshalb fordert ihn  Jesus  auf: ‚Gib dem Schrecken des Todes nicht die ganze Macht über dich, mobilisiere deine Vertrauenskräfte’!

Die übliche Übersetzung ist: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“  Die aktive Formulierung mit dem Reflexivpronomen unterstellt  Jairos, er habe seine Furcht  „selber verursacht und in der Hand“, so dass er sie jetzt stoppen könnte und sollte.

Ein Opfer wird zum Täter gemacht.

 

 

 

„Passiv“  ermöglicht einen behutsamen Rede-/ Schreib-Stil

 

Gerade bei Fehlern, Schwächen, Blockaden verhindert das  Passiv  eine Identifizierung mit diesen, indem es  äußere Faktoren  als Mit-Ursachen deutlich macht.

Das Passiv  –  auch als solches übersetzt  –  ermöglicht einen sehr behutsamen Rede- / Schreib- / Kommunikations-Stil. Die  Opfer  werden nicht auch noch zu Tätern gemacht, sondern die einflussreichen äußeren Ursachen/Verursacher  werden gesehen, ernst genommen und einbezogen.

Ein Beitrag zu nachhaltiger Veränderung.  Wie  Markus  zeigt.