kaí – und   ist ein wichtiges Element der  gesprochenen  Sprache, vor allem der Umgangssprache, der sogenannten  [10-084]  koiné  –  der allgemeinen/gewöhnlichen (Sprache).  Meist kurze Hauptsätze werden aneinandergereiht:  eine parataktische  = bei-/gleichordnende  Redeweise.

Die Rhetorik, die Schriftsprache und besonders die (gehobene) Literatursprache bevorzugen einen hypotaktischen, unterordnenden Sprachstil:  Haupt- und Nebensätze, kunstvoll verschachtelte Satzgefüge.

Markus nimmt dieses Wort der  koiné, der  gemeinsamen, gewöhnlichen  Sprache  –  so wie die  ‚gewöhnlichen Leute’, der  óchlos – Volksmenge/Pöbel,  redet  –  und macht daraus ein mehrdimensionales literarisch-spirituelles Stilmittel.

 

 

 

… und … und  sogleich … und  dann …

 

Ein aufregendes Ereignis zu erzählen macht atemlos  –  bei Kindern ist das ansteckend zu erleben, wenn ihnen dabei fast die Luft ausgeht.

Das  „erwachsene“  Urbild ist in der Antike jener Herold, der von Marathon nach Athen lief, um den Sieg über die Perser zu melden. Mit dem letzten Atem ruft er die Siegesbotschaft aus, bricht erschöpft zusammen und stirbt.

Im Alten/Ersten Testament ist es der Freuden-Bote, der die Nachricht vom Friedensschluss über alle Berge überallhin trägt.

[10-069ker ´yssein – als Herold eine wichtige Botschaft ausrufen, verkünd-ig-en.  In totaler Aufgeregtheit mit atemloser Stimme ringt er um Luft und Worte, es verschlägt ihm gleich die Stimme.

 

 

 

Wie Markus   kaí – und   einsetzt

 

Als  kêryx – Herold, Ausrufer, Verkündiger   beginnt  Jesus, seine Freudenbotschaft vom befreienden Da-Sein Gottes auszurufen  ( 1, 15 ).

Mit dem ständigen   kaí   das ganze Evangelium hindurch schafft  Markus  eine  literarische Atemlosigkeit. Sie ‚enthält‘ die freudige Atemlosigkeit des Herolds  Jesus, seine Aufgeregtheit,  seine Begeisterung.  Und Markus verstärkt die Wirkung noch durch  euth ´ys – sogleich  [05-150],  vor allem im  GALILÄA-Teil  ( 1, 14 – 8, 21 ).

 

Laut ruft  Jesus, der Herold des Evangeliums Gottes, am Kreuz seinen Todes- und zugleich Siegesschrei  ( 15, 37 )  –  um scheinbar für immer zu verstummen.

Im Grab (!)  beauftragt ein   neanískos – ‚junger Wilder’/junger Mann  (!)  die  3  Frauen (!), Heroldinnen (!)  Jesu  zu sein, des auferweckten (!) Gekreuzigten (!).

Sie fliehen, laufen weg:   trómos  kaì  ékstasis – (Gottes)Schrecken und (Gottes)Entzücken  hat sie im Griff  (16, 8).

Und  dann laufen sie, als selbstbewusste Verkünderinnen  diese fassungs-los machende Botschaft   „den Schülern und dem Petros“  auszurichten.

 

I h r e  Atemlosigkeit verbindet  Markus  mit der begeisternden Atemlosigkeit des Herolds  Jesus. Er setzt sie parallel, ja:  in  e i n e n  Atem:  kaí … kaì  euth ´ys … kaí …   –   und … und sogleich … – und …

 

 

 

Ekstatische Atemlosigkeit als Grundstruktur des Evangeliums

 

Diese  ekstatische Atemlosigkeit  Jesu und dann der  3 Frauen gestaltet  Markus  als eine Grundstruktur seines Werkes. So macht er die Dynamik der alle gewohnten Kategorien sprengenden Erfahrungen  Jesu  und  mit  Jesus  den Lesenden zugänglich(er).

Im Wieder-Lesen, in der re-lecture  des  geschriebenen  Evangeliums werden die  Lesenden  „atem-los“, „fassungs-los“, „ekstatisch – außer-sich-geraten“.

Immer wieder und immer öfter …

 

Diese kommunikativ-spirituelle Dimension unterstreicht  Markus  mit einem  dazu  passenden  eigenSinnigen  Sprech-/Schreib-Rhythmus.  Er verwendet   kaí – und   auch dazu, um  Kola-/Sprech-Rhythmus-Einheiten zu markieren.

 

siehe

JM  1.1.5  Sprech-Rhythmus  &  Schreib-Stil

 

 

 

Das  ‚offene Netzwerk‘   löst die „Pyramide“ ab

 

 

10-009   *       k a í  –  1069 + [ 9 ] + [ 4* ] + [[ 9 + [ 1 ] + 3+ ]]  x  –  und;  auch

 

Das  Markus-Evangelium umfasst   11033  Wörter,  1069  davon:   kaì – und !

Es ist mit großem Abstand das von  Markus am öftesten verwendete Einzelwort  –  9, 68 % aller Wörter!

 

siehe

JM  1.1.8.3  Markus-WortSchatz

 

 

In dieser Überfülle der Verwendung gibt  Markus  einen wichtigen Hinweis auf eine grundsätzliche Aussage:   kaí – und  ist

  • ein  g l e i c h -ordnendes Wort,
  • wesentlicher Bestandteil eines  parataktischen = bei-/gleich-ordnenden Schreib-Stils,
  • ein selbstverständlich und häufig gebrauchtes Wort in den Gesprächen des Alltags,
  • verbindet  gleich-wertige Satzglieder und Worte.

 

Mit   kaí – und

  • verknüpft Markus alle Einzel-Geschichten zu einem offenen Netzwerk,
  • verbindet er die beteiligten Personen in Augenhöhe gleichwertig miteinander,
  • gestaltet er eine durch und durch  symmetrische  Kommunikation  als  Matrix  seines Evangeliums  Jesu Christi.

 

Seine großartige literarisch-spirituelle Leistung:  Jesus  live.

In diesem offenen kommunikativ-spirituellen Netzwerk nehmen die Augenhöhe und die Zuwendung, mit denen  Jesus  a l l e n  begegnet, sozial und persönlich lebbare Gestalt an.

Markus  setzt das  verbindende    kaí … kaí … – und … und/sowohl – als auch  an die Stelle des gesellschaftlich üblichen  trennenden  „Entweder – Oder“.

Das  „offene Netzwerk“  löst  „die Pyramide“  als grundlegendes Deutungs-Muster des Lebens/Glaubens ab.

 

siehe

JL  1.3.3  Spannungselemente der EigenArt Jesu

JL  5.1.1  Ein neues Herz und einen neuen Geist

JM  1.2.3.2  WEG in Gestalt einer Spirale

 

 

ROHR, Richard:  Das wundervolle Wörtlein  „und“   (Pure Präsenz. Sehen lernen wie die Mystiker.  –  München:  Claudius Verlag  2010,  S. 219 – 220)

JAROŠ, Karl:  IV. Zur Sprache des Evangelisten Markus.  1. 1  Die  kaí – Parataxe  (Das Evangelium nach Markus. Einleitung und Kommentar.  –  Patrimonium Verlag  2016, S. 149 – 151)