Jesus f r a g t den blinden Bettler, umringt von Festpilgern
10, 51: tí soi théleis (präs.) poiéso (aor. coni.) ; / Was dir willst du sollte ich tun ?
Darin spiegelt sich die EigenArt Jesu, sein „Umgangs-Stil“: höchst interessiert + vollkommen absichtslos. Der „Star“ f r a g t den „Niemand“, die „graue Maus am Wegrand“: Was dir w i l l s t d u sollte ich tun? (10, 51) Nicht nur Bartimäus blüht dabei auf …
Rhabbuní – mein lieber, lieber Meister
„Rhabbuní“ – so redet Bartimäus Jesus an [17-02] : dieses Wort kommt im Markus-Evangelium nur 1 x vor.
Und in allen vier Evangelien insgesamt nur 2 x :
- bei Markus hier an dieser Stelle ( 10, 51 ) und
- bei Johannes: „Rhabbuní – mein lieber, lieber Meister“ – so ruft Maria aus Magdala in freudigem Entzücken, als sie den auferstandenen Jesus erkennt ( Joh 20, 16 ).
Der blinde Mann, ein „überflüssiger“ Habenichts, sieht und versteht Jesus richtig. E r gibt Jesus die entsprechende Antwort auf dessen „liebe-vollen Blick“, den der reiche Mann nicht erwidert hatte (10, 21 – 22). Liebe-voll – auf gleicher Wellenlänge – in Augenhöhe.
Die Größe eines Menschen liegt in der Entscheidung,
stärker zu sein als seine Voraussetzungen
Albert Camus
Rhabbuní – dass ich aufblicke
„Rhabbuní, dass ich a u f b l i c k e / ein Gesicht wiedererhalte / wieder sehe“: seinen tiefsten Herzenswunsch traut er sich Jesus sagen.
[01-072] ana-blépein – auf-blicken: in diesem Wort verschlüsselt/codiert Markus „den Himmel“ – oúranos [15-54]:
- 6, 41: aufgeblickt hinein in den /zum Himmel: Jesus beim Mahlsegen der 1. Speisung – für die Juden
- 7, 34: aufgeblickt hinein in den / zum Himmel: Jesus bei der Heilung des Taubstummen – Heiden
Jesus, der „geliebte Sohn“ ( 1, 10 ), macht den offenen Himmel sichtbar und zugänglich:
- dem Blinden bei Bethsaida ( 8, 24 )
- dem blinden Bartimäus ( 10, 51. 52 )
- den verzweiflungs-blinden Frauen am Grab ( 16, 3 ).
„Ein Gesicht wiedererhalten“ bedeutet in mystischen Traditionen auch: das Gesicht, das ich vor der Geburt hatte = von Gott habe. Berührend Stein geworden ist die Antwort auf diese mystische Sehnsucht des Menschen in einer der Skulpturen am Nordportal der Kathedrale von Chartres (13. Jhd.):
G o t t ersinnt den Menschen. Und er/sie ist Ihm „wie aus dem Gesicht geschnitten“. vgl. Gen 1, 26. 27. 31
siehe
JL 3.1.2 Mystische Alltags-Literatur
CHARTRES: Gott ersinnt den Menschen. Gen 1, 26. Archivolten Nordportal, 13. Jhd. JL 3.1.2
BEATTIE, Melody: Kein Opfer (Kraft zum Loslassen. Tägliche Meditationen für die innere Heilung. 21. Aufl. – München: Wilhelm Heyne Verlag 2001, S. 299/300; = Hazelden Meditationsbücher)
OOSTERHUIS, Huub: Eines Tages kam der Rabbi von Krakau (Gehn wo kein Weg ist. – Freiburg: Herder 1981, S. 35)
SCHAFFER, Ulrich: Er umgibt uns mit unglaublicher Sanftheit (Überrascht vom Licht. – Wuppertal u. Kassel: Oncken Verlag 1980, S. 13)
TERESA von Avila: Gott spricht: O Seele, suche dich in mir („Ich bin ein Weib und obrendrein kein Gutes“. Ein Porträt der Heiligen in ihren Texten. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Erika Lorenz. – Freiburg: Herder 4. Aufl. 1985, S. 41; = Herderbücherei Bd. 920, Reihe „Texte zum Nachdenken“, hrsg. von Gertrude und Thomas Sartory)
TSCHUANG-TSE: Absichtslos (Reden und Gleichnisse. Frankfurt 1976, S. 48)
WIEMER, Rudolf Otto: Bartimäus (Der Augenblick ist noch nicht vorüber. Ausgewählte Gedichte. – Stuttgart: Kreuz Verlag 2001, S. 41)
ZENETTI, Lothar: Verheißung (Auf seiner Spur. Texte gläubiger Zuversicht. – Mainz: Matthias Grünewald Verlag 2000, S. 162; = Topos Nr. 327)
Unsere Aufgabe in diesem Leben ist nichts anderes,
als das Auge des Herzens zu heilen, mit dem Gott gesehen wird.
Augustinus